Forensik
in Herne
Von
Klaus Marquardt*
Ein
Gespenst geht um in Herne — das Gespenst der Forensik. Worum geht es überhaupt?
Was ist “Forensik”, woher kommt die Angst vor ihr, wieso läuft es
in Herne anders als in den anderen betroffenen Städten? Das sind Fragen,
denen ich im Folgenden ein wenig nachgehen will.
Hintergrund
Die NRW-Landesregierung hat
sechs neue Standorte für forensisch- psychiatrische Krankenhäuser
bestimmt. Einer von ihnen liegt in Herne, im Ortsteil Bickern. Grund für
den Neubau ist, dass die bereits bestehenden Einrichtungen im Land überlastet
sind. Grund für die Vielzahl der Standorte ist eine Änderung
im Konzept: Die Patienten sollen wie in der Allgemeinpsychiatrie möglichst
heimatnah versorgt sein, also dort, wo sie nach erfolgreicher Behandlung
auch wieder leben werden.
Was ist das Besondere an
forensisch-psychiatrischen Krankenhäusern? Die hier untergebrachten
Menschen sind dies aufgrund eines strafgerichtlichen Beschlusses. Ihnen
wurde ein Rechtsbruch nachgewiesen, der normalerweise zu einer Haftstrafe
führen würde. Stellt das Gericht jedoch fest, dass die angeklagte
Person aufgrund einer psychischen Krankheit oder Störung das Delikt
begangen hat, sie also nicht oder nur teilweise “schuldfähig” ist,
dann ist in unserem Rechtssystem die Verurteilung zu einer Strafe nicht
möglich. Wenn das Gericht im Verfahren außerdem die Überzeugung
gewinnt, dass von der angeklagten Person auch weiterhin eine Gefahr ausgehen
wird, dann kann es die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
verfügen. Dieses Krankenhaus muss nicht nur für die Behandlung,
sondern aufgrund der Gefahr auch für eine Sicherung sorgen. Diese
Aufgabe erfüllen forensisch-psychiatrische Kliniken. In der juristischen
Sprache ordnet das Gericht “Maßregeln der Besserung und Sicherung”
an. Daher stammt der Ausdruck “Maßregelvollzug” (im Unterschied zum
Strafvollzug).
Welche Krankheiten haben
die in der Forensik behandelten Menschen? Ein nicht geringer Teil von ihnen
ist suchtkrank. Für die Gruppe der Suchtkranken gibt es spezielle
Entzugskliniken, wie etwa eine für Duisburg geplant ist. Im Unterschied
zu allen anderen im Maßregelvollzug Untergebrachten gibt es für
die Suchtkranken eine Obergrenze ihrer Verweildauer: Länger als zwei
Jahre dürfen sie in der Entzugsklinik nicht behandelt werden. In den
übrigen forensisch-psychiatrischen Krankenhäusern werden zum
einen psychotisch erkrankte Menschen behandelt, die etwa an einer von jenen
Krankheiten leiden, die man unter dem Namen “Schizophrenie” zusammengefasst
hat (Stimmenhören, Wahnvorstellungen). Diese Patienten sind auch in
jedem normalen psychiatrischen Krankenhaus zu finden und ihre jeweilige
Behandlung unterscheidet sich auch nicht: vor allem Medikamente und psychotherapeutische
Verfahren werden eingesetzt. Zum anderen handelt es sich um Menschen mit
sogenannten Persönlichkeitsstörungen, die man statt als psychisch
krank vielleicht besser als “psychisch behindert” bezeichnen sollte. Da
viele dieser Patienten typischerweise schon aus der Kindheit herrührende
Anpassungsprobleme haben, z.B. nicht gelernt haben ihre Aggressionen zu
kontrollieren, werden bei ihnen vor allem verhaltenstherapeutische Methoden,
als eine Art von sozialem Training, eingesetzt.
Angst
Die Heftigkeit der Auseinandersetzung
um die geplante Klinik — und zwar nicht nur in Herne — zeigt, dass an dieser
Frage ganz viele Emotionen beteiligt sind. In der Form ihres Ausdrucks
waren sich diese Gefühlsausbrüche stets ähnlich: Es wurde
Angst vor den Menschen (“Mörder, Vergewaltiger und Kinderschänder”)
geäußert, die vor den Toren der Stadt auf ihren Einlass warteten
(“gehören hier nicht hin”). Das hat verschiedene Aspekte und auf zwei
wichtige möchte ich im Folgenden eingehen.
Am wichtigsten und unwichtigsten
ist, dass aus solchen Äußerungen ein großes Unwissen über
den Maßregelvollzug und die Menschen in ihm spricht. Patienten, die
Tötungen begangen haben oder Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung,
machen nur eine Minderheit aus. Und umgekehrt befinden sich, nach allem
was wir wissen, mehr Personen, die sexuelle Gewalt gegen Kinder angewendet
haben, unerkannt und unbehandelt unter uns als in forensischen Kliniken.
Am wichtigsten ist dieser Aspekt des Unwissens, weil er derjenige ist,
der noch am ehesten zu beeinflussen ist. Am unwichtigsten ist er aber deshalb,
weil sich Angst nicht wegargumentieren lässt.
Ein zweiter Aspekt ist wichtig:
Aus solchen Äußerungen spricht ein hohes Maß an Intoleranz
und Ausgrenzungsbereitschaft. Damit meine ich nicht, dass gegenüber
den Taten, die zur Unterbringung in der Forensik geführt haben, Toleranz
walten sollte oder dass das Recht auf Schutz vor weiteren Taten zu beschränken
sei. Doch auch wenn es manchmal schwer zu ertragen ist, zu was Menschen
fähig sind, hören sie dadurch nicht auf Menschen zu sein. Es
wäre viel gewonnen, wenn sich diese Haltung mehr verbreiten würde,
aber auch dadurch nimmt die Angst nicht ab.
Deshalb ist mir noch ein
dritter Aspekt sehr wichtig, der auf die Quelle der Angst verweist: die
Angst vor der psychischen Krankheit. Aber hierauf weiter einzugehen würde
den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Herne
Warum hat die angstbesetzte
Diskussion um die Forensik in Herne ganz andere Ausmaße angenommen
als in Münster, Dortmund, Essen, Duisburg oder Köln? Auch dort
haben sich Bürgerinitiativen gegen die geplanten Kliniken gegründet,
auch dort hat es anfänglich eine nicht mehr hinzunehmende Wortwahl
in der Auseinandersetzung gegeben.
Ich will nicht verkennen,
welche Rolle die Benachteiligungsgefühle spielen, die von vielen Menschen
vor allem in Wanne gehegt werden, wenn sie die Situation ihres Stadtteils
mit der des Herner Zentrums vergleichen. Hier war das Thema Forensik eine
Art Ventil, um dieser Unzufriedenheit Ausdruck zu geben. Gleiches hätte
aber zum Beispiel auch in Köln geschehen können, wo die Standortwahl
den “benachteiligten” und ebenfalls 1975 eingemeindeten Stadtteil Porz
getroffen hat.
Ich führe den Unterschied
vor allem auf das unterschiedliche Verhalten der politischen Eliten in
den betroffenen Städten zurück. So haben sich die jeweiligen
Oberbürgermeister — außer in Herne — ungefähr folgendermaßen
geäußert: “Wir sind zwar nicht glücklich mit dieser Entscheidung
des Landes, aber wir akzeptieren sie.” Die protestierenden Bürger
konnten nicht den Eindruck gewinnen für alle zu sprechen. In Herne
hat die einhellige Unterstützung der Bürgerinitiative durch die
maßgeblichen politischen Kräfte einen solchen Eindruck erzeugt.
Dieser Atmosphäre entsprangen die Entgleisungen; was man sich sonst
nur zu Hause zu sagen traut, schien ja die Meinung aller zu sein.
[*] Klaus Marquardt
ist Mitglied des “Arbeitskreises Forensik” im Psychosozialen Plenum Herne,
gegründet aufgrund der massiven Ablehnung des Forensikbaus in Herne.
Der AK wirbt mit Information und Argumenten für die Akzeptanz der
Forensik in der Öffentlichkeit. www.forensik-herne.de |
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